30

Keiner sprach ein Wort, als die Krieger Kade halfen, Seth von dem Felsvorsprung hinaufzuziehen. Sie gingen behutsam vor und behandelten den leblosen Körper wie eine wertvolle Fracht, auch wenn selbst im Tod unübersehbar sein musste, dass Kades Zwillingsbruder ein Rogue war.

Seths Dermaglyphen  hatten immer noch die dunkle Färbung des Zorns, und seine Fangzähne ragten noch zwischen den schlaffen Lippen hervor. Und obwohl seine Augen nun geschlossen waren, waren die Pupillen unter seinen Lidern noch lang gezogen, die Iris mit wildem Bernsteingelb überflutet.

Alles Kennzeichen der Blutgier, die ihn in den Klauen gehabt und ihn zum Feind aller gesetzestreuen Stammesmitglieder gemacht hatte. Und besonders der Ordenskrieger, die geschworen hatten, die Vampirbevölkerung von allen Killern in ihrer Mitte zu befreien.

Trotzdem legten Tegan und Chase Seth mit behutsamer Pietät vor Kade auf den schneebedeckten Fels, während Hunter zum Rand des Abgrunds ging und die tiefe Schlucht unter ihnen musterte. Dann sah er Tegan an und schüttelte leicht den Kopf. „Kein Lebenszeichen da unten, welcher Art auch immer. Der Älteste ist sicher tot.“

Tegan nickte. „Gut. Selbst wenn der Sturz ihn nicht umgebracht hat - ein paar Tausend Tonnen Eis und Schnee haben ihm garantiert den Rest gegeben.“

In diesem Moment kam Alex mit einer zusammengelegten Decke vom Flugzeug zurück. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie Kade einen Blick zuwarf und dann damit begann, langsam das Leichentuch auszuschütteln, das Seths blutigen, geschundenen Körper bedecken sollte.

Kade hob die Hand. „Warte. Ich muss ihn so sehen. Ich will, dass ihr ihn euch alle anseht, damit ihr wisst, dass das ebenso gut ich sein könnte.“ Er schaute in die grimmigen Gesichter seiner Ordensbrüder, von Hunters teilnahmslosen goldgelben Augen zu Chase' finster gerunzelter Stirn und schließlich zu Tegans unbewegtem, undurchdringlichem Blick. Zum Schluss sah er Alex an, deren Meinung ihm mehr bedeutete als jede andere. „Seth - mein Zwillingsbruder - war ein Killer. Ich wusste es schon seit Langem, wollte es aber nicht zugeben.

Nicht mal vor mir selbst. Denn was ich in Wirklichkeit nicht zugeben wollte, war, dass er und ich gar nicht so verschieden waren.“

„Er war Rogue“, sagte Tegan. „Das ist ein Unterschied.

„Schon.“ Kade hob zustimmend die Schultern. „Aber es hat Jahre gedauert, bis es so weit kam. Und all die Zeit über hat er gejagt wie ein Tier und kaltblütig getötet. Seth konnte seine innere Wildheit nicht im Zaum halten, und das hat ihn krank gemacht. Das weiß ich, weil ich diese Wildheit selbst in mir habe.“

Kade sah, wie Alex schwer schluckte und die Decke an sich presste, als brauchte sie plötzlich ihre Wärme. Er spürte die leichte Beschleunigung ihres Pulsschlags, während sie ihn schweigend misstrauisch anstarrte. Durch seine Blutsverbindung mit ihr konnte er ihre Angst fühlen, als wäre sie seine eigene.

Er verabscheute es zutiefst, dass er die Ursache dafür war, und wurde fast überwältigt von dem Drang, ihre Befürchtungen mit einer beruhigenden Lüge zu beschwichtigen. Aber mit solchen Heimlichkeiten war er fertig. Er konnte sich nicht länger verstecken oder so tun, als wäre er stärker, als er war. Auch auf die Gefahr hin, Alex jetzt zu verlieren.

Sie musste die Wahrheit erfahren, genau wie die Gruppe von Stammesvampiren, die vor ihm stand.

„Seit Seth und ich klein waren, haben wir uns von unserer Gabe beherrschen lassen. Es war schwer, der Freiheit zu widerstehen, die sie bot, der Macht. Und es war ziemlich berauschend damals - andere tödliche Raubtiere zu kommandieren, neben ihnen her zu rennen. Mit ihnen zu jagen. Manchmal, um die Präzision des Tötens durch ihre Augen mitzuerleben. Und nachdem uns die Wildnis erst einmal gerufen hatte, wurde es immer schwerer, sie zu zügeln. Manchmal fällt es mir immer noch schwer.“

Obwohl Alex nicht mit der Wimper zuckte, spürte er, wie sich ihr beim Zuhören der Magen verkrampfte. Sie war angewidert, diesmal nicht von Seth oder durch ein Missverständnis, das Kade mit ein paar charmanten, gut gemeinten Versprechungen hätte ausräumen können. Jetzt erkannte sie endlich die ganze Wahrheit, und das Gefühl, sie mit seiner Aufrichtigkeit abzustoßen, war schrecklich. Aber er konnte nicht aufhören, bis sie alles wusste.

„Zu viel Macht tut nie gut“, bemerkte Chase nachdenklich in das anhaltende Schweigen hinein. „Die kann selbst die Stärksten verderben.“

„Kann man wohl sagen“, stimmte Kade zu. „Seth hat sie jedenfalls schon früh verdorben. Ich weiß nicht, wann er damit angefangen hat, auch Menschen zu töten. Das ist im Moment auch nicht so wichtig. Eines Tages habe ich es jedenfalls rausgekriegt und hätte ihn auf der Stelle stoppen sollen - habe es aber nicht. Stattdessen bin ich fort aus Alaska. Ich bekam einen Anruf von Niko, dass der Orden neue Rekruten sucht, und konnte gar nicht schnell genug von hier weg. Ich habe mich nach Boston geflüchtet, um mich selbst davor zu retten, so zu werden wie Seth, und habe ihn sich selbst überlassen.“

Tegan betrachtete ihn ernst. „Das war grade mal vor einem Jahr. Seth war kein Kind mehr. Wie lange hättest du dich denn noch für ihn verantwortlich gefühlt?“

„Er war mein Bruder“, erklärte Kade und warf einen schmerzlichen Blick auf die Leiche des Rogue, der einmal sein Spiegelbild gewesen war. „Seth war ein Teil von mir, fast eine Verlängerung von mir. Ich wusste, dass er krank war.

Ich hätte dableiben und dafür sorgen sollen, dass er sich im Griff behält. Und wenn er mit dem Morden nicht aufgehört hätte oder sich herausgestellt hätte, dass er es nicht mehr kann, dann hätte ich dafür sorgen sollen, dass er für immer damit aufhört.“

Tegan kniff die grünen Augen zusammen. „Es ist nicht leicht, seinen Bruder zu töten, ganz egal, was er getan hat. Frag Lucan, der kann's dir bestätigen.“

„Ist es leichter, seinem Vater das Herz zu brechen?“, gab Kade sarkastisch zurück, aber in seiner Stimme lag ein bitterer Unterton. „Mein Vater hätte das alles eher mir zugetraut, nicht Seth. Seine ganzen Hoffnungen und Erwartungen ruhten immer auf Seth. Er wird am Boden zerstört sein, wenn er ihn so sieht. Und das wäre er auch gewesen, wenn ich Seths Geheimnis öffentlich gemacht hätte, statt es all die Jahre für mich zu behalten.“

Tegan grunzte. „Die Wahrheit wird nur umso hässlicher, je länger man versucht, sie zurückzuhalten.“

„Ja, heute weiß ich das auch.“ Kades Blick wanderte zu Alex, aber sie hatte sich von ihm abgewandt. Sie drückte Chase die Decke in die Hand und ging mit großen Schritten auf ihr Flugzeug zu, Luna trottete hinterher. Kade räusperte sich. „Ich muss meinen Bruder nach Hause zu seiner Familie bringen. Dort gehört er hin. Aber zuerst will ich sicherstellen, dass mit Alex alles in Ordnung ist. Und mit ihrer Freundin Jenna auch.“

„Und dann wäre da noch das Problem mit dem toten Trooper“, warf Chase ein.

Kade nickte. „Nicht zu reden davon, dass nach den Angriffen des Ältesten noch mehr Leute auf Eis liegen, und eine Einheit der Staatspolizei aus Fairbanks unterwegs ist, um die Morde in den Wäldern zu untersuchen.“

„Scheiße“, sagte Tegan. Er machte Chase ein Zeichen, Seths Leiche zuzudecken. „Du und Hunter bringt ihn ins Flugzeug. Und seid vorsichtig, ja?

Rogue oder nicht, Kades Bruder hat ihm heute das Leben gerettet. Was Seth heute getan hat, hat uns heute wahrscheinlich allen den Arsch gerettet.“

Die beiden Krieger nickten und trugen Seth weg. Als Kade Anstalten machte, ihnen zu folgen, hielt Tegan ihn mit einem vielsagenden Blick zurück.

„Hey“, sagte er so leise, dass nur Kade ihn hören konnte. „Ich weiß ein bisschen was darüber, womit du fertig werden musst, du bist also nicht allein.

Vor langer Zeit hab ich auch meiner Wildheit nachgegeben, nur dass die Droge meiner Wahl damals Wut war. Das hätte mich fast umgebracht, wenn Lucan mich da nicht rausgeholt hätte. Und jetzt ist es Elise, die mich bei Vernunft hält. Das Tier in dir wird nie ganz weggehen, aber ich bin da, um dir zu sagen, dass man es in den Griff bekommt.“

Kade hörte zu und erinnerte sich daran, was er über Tegans eigene Kämpfe gehört hatte: vor Jahrhunderten in den Anfangszeiten des Ordens in Europa und dann bei den Ereignissen vor einem Jahr, die Tegan und seine Stammesgefährtin Elise zusammengebracht hatten.

„Ich kann nicht sagen, dass ich von alldem begeistert bin“, sagte der Gen Eins.

„Aber ich respektiere, dass du uns genug vertraut hast, um damit herauszurücken.“

Kade nickte knapp. „Das war ich euch schuldig.“

„Worauf du einen lassen kannst“, gab Tegan zurück. „Merk dir eins, mein Alter. Du hast zwar heute in Alaska einen Bruder verloren, aber du wirst immer eine Familie in Boston haben.“

Kade hielt dem intensiven smaragdgrünen Blick stand. „Ja?“

„Klar“, bestätigte Tegan und verzog den Mund zu einem flüchtigen Lächeln.

„Jetzt lass uns von diesem Scheißberg abhauen. Wir haben schließlich was zu tun.“

 

Alex konnte nicht so tun, als hätte Kades Geständnis sie nicht erschreckt. Dass sie seinen Bruder gesehen hatte - den Zwilling, der ihm so ähnlich sah -, der sich in die gleiche Art Ungeheuer verwandelt hatte wie die, die ihre Mutter und Richie getötet hatten, machte alles nur noch schlimmer.

Konnte Kade eines Tages auch zu einem Monster werden? Er selbst schien das zu glauben, und das versetzte ihr einen schmerzhaften Stich in die Brust, weniger aus Angst um sich selbst als aus Sorge um Kade.

Sie wollte ihn nicht leiden sehen. Sie wollte ihn nicht an diese Krankheit verlieren - diese süchtig machende Wildheit, die Seth in den Klauen gehabt hatte.

Mit Ausnahme von Jenna, wo man nur beten konnte, dass sie wieder in Ordnung kam, hatte Alex bereits alle verloren, die sie liebte. Und Kade konnte der Nächste sein. Er fürchtete sich vor der verlockenden Natur seiner Gabe.

Und wenn sie sich ansah, was sie mit Seth angestellt hatte, fürchtete Alex sich ebenfalls. Sie wusste nicht, ob sie es ertragen konnte, sich noch stärker in Kade zu verlieben, nur um ihn dann an etwas zu verlieren, womit sie nie konkurrieren konnte, wogegen sie keine Chance hatte.

Das Problem war nur, dass sie ihn liebte.

Es war die Tiefe ihrer Liebe zu ihm, die sie am meisten erschreckte, während sie ihn und die übrigen Krieger zurück nach Harmony flog. Sie konnte nicht ausblenden, dass Kades Rogue-Bruder tot und eingehüllt im Laderaum lag - eine entsetzliche Warnung vor einer Zukunft, die eines Tages vielleicht auch Kade erwartete.

Ihre Liebsten an Rogues zu verlieren, war schon schwierig genug gewesen. Die Aussicht, Kade an den gleichen grausamen Feind zu verlieren, der ihr ihre Familie genommen hatte, war einfach zu schrecklich, um darüber nachzudenken.

Alex zwang sich dazu, diese düsteren Ängste vorerst auszublenden und suchte nach einem Landeplatz in der Nähe von Jennas Hütte außerhalb der Stadt. Auf dem Flug hatten sie beschlossen, den kleinen Flughafen von Harmony zu meiden, wo man riskierte, die Aufmerksamkeit der erregten Bevölkerung auf sich zu ziehen. Stattdessen setzte Alex die Maschine auf einer kleinen Lichtung unweit von Jennas Grundstück auf.

„Der Pfad zur Hütte führt direkt durch die Bäume da“, erklärte sie Kade und den anderen, als sie den Motor abstellte.

Kade auf dem Beifahrersitz wandte den Kopf, um sie anzusehen, zum ersten Mal, seit sie aus den Bergen nach Harmony aufgebrochen waren. Er senkte kurz den Blick und räusperte sich. „Wenn wir in der Stadt alles erledigt haben, würde ich Seth gerne in den Dunklen Hafen meiner Familie in der Nähe von Fairbanks bringen. Ich weiß, das ist viel von dir verlangt. Vielleicht zu viel, vor allem, nachdem ...“

„Es ist nicht zu viel verlangt“, entgegnete Alex. „Natürlich, Kade. Ich bring dich hin, wann immer du willst.“

Er machte ein ernstes, zerknirschtes Gesicht. „Danke.“

Sie nickte, und es tat ihr selbst ein bisschen leid, dass er sich mit seiner Schweigsamkeit so von ihr zurückzog und wie besorgt er klang, wenn er etwas sagte. Oder vielleicht war es weniger das Gefühl, dass er sich von ihr zurückzog, sondern dass er sie wegstieß.

Alex kletterte mit ihm und den anderen drei Stammesvampiren aus dem Flugzeug und ließ Luna zurück, damit sie Seth bewachte. Alle anderen gingen los, um nach Jenna und Brock zu sehen.

Sobald die Hütte ihrer Freundin in Sicht kam, mit der eingeschlagenen Tür und Zachs Blut, das unter dem Neuschnee immer noch sichtbar war, wurde Alex mit einem Mal bewusst, was sich hier abgespielt hatte, und nun stürmte das alles auf sie ein und überwältigte sie.

 “Oh mein Gott“, keuchte sie und fing an zu rennen, als sie sich der Hütte näherten. „Jenna!“

Sie stürzte die Verandatreppen hinauf. Da erschien Brock in der offenen Tür und versperrte mit seinem riesigen Körper den Eingang. „Es geht ihr gut. Ist noch verwirrt und nicht ganz bei sich, aber unverletzt. Sie kommt wieder in Ordnung. Ich habe sie in ihr Schlafzimmer gebracht, damit sie es bequemer hat.“

Alex konnte nicht anders, sie warf dem großen Mann dankbar die Arme um die Schultern. „Danke, dass du dich um sie gekümmert hast, Brock.“

Der Krieger nickte ernst, und in seinen braunen Augen lag eine Wärme, die zu seiner riesigen, tödlichen Erscheinung irgendwie nicht zu passen schien. „Was ist passiert?“, fragte er, als Alex nach ihm in die Hütte trat, gefolgt von Kade und den übrigen Kriegern. „Habt ihr den Ältesten gefunden?“

„Lange Geschichte“, sagte Tegan. „Erzählen wir dir später. Vorerst reicht es zu sagen, dass der Älteste tot ist. Leider nicht ohne Opfer auf unserer Seite. Kade hat in dem Gefecht seinen Bruder verloren.“

„Was?“ Brock sah betroffen auf und legte Kade tröstend die Hand auf die Schulter. „Scheiße! Was immer da passiert ist, mein Beileid, Mann.“

Alex war ergriffen von den echten Gefühlen - der engen Verbindung - zwischen Kade und Brock, zwischen allen Kriegern, die in der kleinen Hütte versammelt waren. Es ließ sie ganz bescheiden werden, so starke Männer zu sehen - Männer, die in ihrem Kern in Wirklichkeit etwas weitaus Außergewöhnlicheres waren -, die sich wie eine Familie umeinander kümmerten.

Da sie sieh in diesem Augenblick ein wenig wie eine Außenstehende vorkam, schlüpfte Alex ins Schlafzimmer, wo Jenna zusammengerollt auf dem Bett lag.

Sie rührte sich, als Alex sich behutsam auf den Rand der Matratze setzte.

„Hey“, murmelte sie benommen, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Ihre Lider hoben sich nur ein winziges Stück.

„Hey.“ Alex lächelte und strich Jenna eine Haarsträhne von der blassen Wange. „Wie geht's dir, Süße?“

Jenna murmelte etwas Unverständliches und ließ die Lider wieder zufallen.

„Seit ihr aufgebrochen seid, dämmert sie so vor sich hin. Sie ist noch nicht richtig wach geworden.“

Alex drehte den Kopf und sah Brock hinter sich stehen. Auch Kade und die anderen Krieger traten ins Schlafzimmer, und alle schauten in stiller Besorgnis auf Jenna.

„Sie ist immer noch geschwächt durch den Blutverlust“, sagte Brock. „Der Älteste muss lange genug hier gewesen sein, um sich an ihr zu sättigen. Aber sie hatte mehr Glück als andere. Immerhin lebt sie noch.“

Alex schloss die Augen bei diesen Worten. Der Gedanke an Jennas Tortur raubte ihr fast die Luft.

„Ich hab sie in eine leichte Trance versetzt, damit sie sich beruhigt“, fügte Brock hinzu, „aber irgendwas stimmt nicht. Die Trance sollte sie eigentlich komplett ruhigstellen, tut sie aber nicht. Und das ist komisch, schließlich ist sie ein Mensch.“

„Keine Stammesgefährtin?“, fragte Tegan.

Brock schüttelte den Kopf. „Soweit ich sehen kann, ganz normale Homo sapiens.“

Tegan grunzte. „Wenigstens eine gute Nachricht. Was ist los mit ihr?“

„Wenn ich das wüsste. Sie hat keine Schmerzen, aber sie wird immer wieder wach und nuschelt irgendwelchen Unsinn. Nicht mal Worte, nur so ein komisches, unzusammenhängendes Gefasel.“

Alex sah wieder auf ihre Freundin hinunter und streichelte sie sanft. „Anne Jenna. Sie hat schon so viel durchgemacht, und jetzt das auch noch. Das hat sie nicht verdient. Ich wünschte, ich könnte einfach mit den Fingern schnippen und alles auslöschen, was ihr heute passiert ist.“

„Lässt sieh machen“, meinte Tegan. Auf Alex' verblüfften, fragenden Blick hin sprach er weiter. „Wir können ihr Gedächtnis löschen. Es geht schnell und tut nicht weh. Sie wird nicht mal mehr wissen, dass wir hier waren. Wir können es so einrichten, dass sie sich an nichts mehr erinnert, was gestern oder vorgestern, letzte Woche passiert ist... oder noch länger zurück, wenn nötig.“

„So was könnt ihr?“

Tegan zuckte die Achseln. „Ist manchmal ganz nützlich.“

Alex sah Kade an. „Und ich? Könnt ihr meine Erinnerung an all das auch auslöschen?“

Kade erwiderte ihren Blick eine gefühlte Ewigkeit lang. „Willst du das denn?“

Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte Alex alles gegeben, um die furchtbaren Erinnerungen loszuwerden, die sie plagten. Einfach mit den Augen zu blinzeln und sich an nichts mehr zu erinnern - den Verlust, den Kummer, die Angst.

Aber das war nun vorbei.

Ihre Vergangenheit war jetzt ein Teil von ihr geworden. So schrecklich ihre Erlebnisse auch gewesen waren, sie hatten ihr Leben geprägt. Sie konnte die Erinnerungen an ihre Mutter und Richie nicht willentlich ausradieren, nicht einmal an die Nacht, in der die beiden umgebracht worden waren. Das wäre nur wieder eine Art, vor den Dingen wegzulaufen, denen sie sich nicht gewachsen fühlte.

So wollte sie nicht mehr sein. Nie wieder so leben.

Doch bevor sie das sagen konnte, begann sich Jenna heftig auf dem Bett zu regen. Ihre Glieder verkrampften sich, ihr Gesicht verzerrte sich finster, und ihr Atem drang keuchend durch die halb geöffneten Lippen. Sie murmelte unverständlich vor sich hin, und ihre Bewegungen wurden heftiger.

Brock trat neben Alex und legte Jenna mit größter Zartheit seine riesige Hand auf den Rücken. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, während er sie streichelte, und Jennas Schmerz schien unter seiner Berührung etwas nachzulassen.

„Brock“, sagte Tegan und schüttelte leicht den Kopf. „Versetz sie noch nicht in Trance. Ich muss hören, was sie sagt.“

Der Krieger nickte, ließ seine Hand aber auf Jennas Rücken liegen und streichelte ihn weiter. Sie entspannte sich, aber ihre Lippen blieben in Bewegung und flüsterten weiter unverständlich vor sich hin.

Tegan lauschte einen Augenblick, und mit jeder Silbe, die aus Jennas Mund kam, wurde seine Miene ernster und besorgter. „Verdammt. Wir können ihre Erinnerungen nicht löschen. Und wir können auch nicht riskieren, sie tiefer in Trance zu versetzen.“

„Was ist los?“, fragte Alex, besorgt über den bestürzten Gesichtsausdruck dieses sonst so gelassenen Kriegers. „Ist doch was mit Jenna?“

„Das wissen wir erst, wenn wir sie nach Boston gebracht haben.“

Alarmiert stand Alex auf. „Was redest du da? Jenna nach Boston mitnehmen?

Das könnt ihr doch nicht einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden. Sie lebt hier in Harmony ...“

„Nicht mehr“, sagte Tegan in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

„Wenn wir gehen, kommt sie mit uns.“

Kade stellte sich neben Alex. „Was ist denn, Tegan?“

Der ältere Stammesvampir zeigte mit dem Kopf in Jennas Richtung, die unter Brooks sanfter Hand weiter vor sich hin murmelte. „Alex' Freundin redet nicht unzusammenhängend. Sie spricht in einer anderen Sprache. In der des Ältesten.“

Lara Adrian- 07- Gezeichnete des Schicksals
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